Rechenstörung/Dyskalkulie:
Was versteht man unter ''qualitativer Diagnose''?
Die üblichen Verfahren zur Diagnose von Rechenstörungen zielen im Wesentlichen auf einen Vergleich der individuellen Rechenleistungen mit den durchschnittlichen Leistungen der jeweiligen Altersgruppe.
Es wird also vorrangig die Messung der Leistungsfähigkeit des Probanden im mathematischen Bereich, soweit der in bezifferbaren Indizes erfassbar ist, angestrebt (Kurz gesagt: "Wer rechnet schneller und richtiger?").
Warum eine schlechte Leistung zustande gekommen ist, kann man den so ermittelten Zahlenwerten und Prozenträngen aber leider nicht entnehmen!
Auf der Basis solcher Fragestellungen sind eine ganze Reihe von standardisierten Tests entwickelt worden, die im Hinblick auf die Einschätzung der individuell verschieden ausgebildeten Rechenfehler (»subjektive Algorithmen«) die Schwäche aufweisen, dass bei ihnen in erster Linie das Ergebnis zählt und weniger das mathematische Vorgehen. Demgegenüber ist für die Aufdeckung und
Behandlung einer Dyskalkulie ganz entscheidend zu klären, warum und auf welchem Rechenweg fehlerhafte Ergebnisse (aber auch manch richtiges Ergebnis!) zustande gekommen sind. An
Stelle dessen wird bei den gängigen Testverfahren die Analyse der Fehler mehr oder weniger darauf eingegrenzt, die Menge der richtigen und falschen Ergebnisse zu ermitteln und die so gewonnene Quote an
dem vorab feststehenden Auswertungsschlüssel zu messen. Damit hat man dann im Ergebnis vielleicht festgestellt, dass eine Rechenstörung vorliegt - welche falschen Rechenstrategien
dahinter stecken und wie die Ausprägung der Rechenschwäche sich im speziellen Fall konkret darstellt, ist für die Aufarbeitung und Behandlung der individuellen Lerndefizite allerdings
wesentlich wichtiger.
Überwinden lässt sich dieser Mangel durch eine qualitative Fehleranalyse und eine inhaltliche Beurteilung der subjektiven Rechentechniken. Wir setzen dafür das
Qualitative Erfassungssystem Dyskalkulie (QuEst_D) ein. Das Material an unserem Institut umfasst - logisch aufbauend sortiert - alle Anforderungen an das
mathematische Denken. Es wird sowohl als mündliche und schriftliche aber auch als Sachaufgabe dargeboten. Die qualitativen Fehleranalysen liefern vor allem in Kombination mit einer Anleitung des
Probanden zum „lauten Denken" während des Problemlösungsprozesses die notwendigen Informationen über die jeweils konkret vorliegenden subjektiven Rechenstrategien.
Aus den angewandten Rechentechniken und den subjektiven Algorithmen lassen sich – verglichen mit dem mathematisch gebotenen Vorgehen – Rückschlüsse auf das Verständnis
mathematischer Inhalte und Operationen erzielen. Dadurch werden Lerndefizite (hier spezielle Wissensmängel um mathematische Abstraktionen sowie unlogische Verfahrenstechniken: Zählen statt
Rechnen) sichtbar und die Systematik der Rechenfehler lässt sich aufschlüsseln und erklären.
Neben die Interview-Technik des „lauten Denkens“ treten noch die Verhaltensbeobachtungen von Mimik, Gestik und Körpersprache, die Rückschlüsse darüber zulassen, ob
die Kommentare der Probanden die wirkliche Vorgehensweise treffen. Dazu kommt die Methode, die wir die „Beobachtung des konkreten Handelns mit mathematisch strukturierten
Veranschaulichungsmitteln“ nennen. Dahinter verbirgt sich eine qualitative Analyse der Handlungstechniken auf der konkret-handelnden Ebene. Rechenschwäche lässt sich häufig
bereits auf der Handlungsebene als apraktische Umgangsform mit Veranschaulichungsmitteln nachweisen.
Auf diese Weise entsteht eine differenzierte qualitative Profilierung der Rechenschwäche, was insbesondere für die Rechentherapie im Sinne der Prozessbegleitung von
größter Bedeutung ist. Die Therapie kann damit gezielt dort ansetzen, wo die mathematischen Probleme des Probanden beginnen.
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